Tagung "Marx und der Marxismus. Zum Verhältnis von Theorie und Praxis”
Am 5. Mai jährt sich der Geburtstag von Karl Marx zum 200. Mal. Auch wenn mit Marx nicht die Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise begann, wird sein Name inzwischen nahezu synonym mit Kapitalismuskritik verwendet. "Das Kapital", 1867 in Leipzig gedruckt und in Hamburg erschienen, gilt noch immer als die Referenz für das Verständnis des modernen Kapitalismus. Dass das Werk heute den Status eines Klassikers hat, deckt sich dabei durchaus mit Marx' eigenen Vorstellungen, beanspruchte dieser doch, mit dem "Kapital" als Erster die Analyse und Kritik der kapitalistischen Produktionsweise streng wissenschaftlich begründet und systematisch durchgeführt zu haben. Seitdem gab und gibt es immer wieder Versuche, den von Marx eingeschlagenen Weg einer Kritik der politischen Ökonomie weiterzugehen. Damit gehört Marx laut Michel Foucault zu den sogenannten Diskursivitätsbegründern. Diese seien nicht nur die Autoren ihrer Werke, sondern hätten darüber hinaus auch die Formationsregeln und damit die Möglichkeit ganz anderer Texte geschaffen. Marx habe, so Foucault, nicht nur einen Beitrag zu den Forschungsdisziplinen seiner Zeit geleistet, sondern zugleich einen Diskurs begründet, der über ihn hinausgeht und dennoch permanent auf ihn als Gründungsfigur, seine Schriften und die darin verwendeten sozialwissenschaftlichen Kategorien zurückverweist. Der "Marxismus" ist genau jener bis heute anhaltende Diskurs, der unendliche Anschlussoperationen zulässt, ohne dabei jemals die Verbindung zu seinem Ursprung zu kappen. Das Repertoire des Marxismus ist dementsprechend vielseitig: Die Anknüpfungen an Marx umfassen interne Differenzierungen, Relektüren oder Weiterentwicklungen ebenso wie die Möglichkeit der Abweichung und Abgrenzung zu seinen Texten. Die Regalmeter marxistischer Literatur bilden dabei nur die akademische Gerinnungsform; jenseits davon existieren zudem all jene Praktiken, Kämpfe und politischen Strategien – von der proletarischen Arbeiterkultur des späten 19. Jahrhunderts über die Gründung sozialdemokratischer Parteien bis hin zum Aufbau sozialistischer Staaten –, die sich bis heute auf Marx berufen. Mithin erscheint Marx in zweifacher Hinsicht als Diskursivitätsbegründer: als Autor, mit dem die theoretischen Auseinandersetzungen des Marxismus beginnen, und als Referenz, auf die man sich als Autorität beruft, um politische Praxis und normative Projekte zu rechtfertigen.
In vier Schritten soll die Verbindung von Marx und dem Marxismus rekonstruiert sowie die daraus folgende Verknüpfung von Theorie und Praxis hergestellt werden: Im ersten Block werden unterschiedliche Modi der Verschränkung von Theorie und Praxis bei Marx und in der Gegenwart vorgestellt. Im Zentrum des zweiten und dritten Blocks stehen historisch gegensätzliche Ansätze der Marx-Rezeption und ihre jeweiligen praktischen Konsequenzen: Der zweite Block konzentriert sich auf die herrschaftsstabilisierenden und -kritischen Marx- Lektüren in der DDR, während im dritten Block die Marx-Bezüge der Neuen Linken und ihrer Kritiker in der BRD im Fokus stehen. Der vierte Block bietet Raum, die unterschiedlichen Zugänge und Perspektiven zusammenzuführen und nach Gegenwartsbezügen zu fragen.